Rückblick auf Gender im Fokus im Sommersemester 2024

 

An dieser Stelle möchten wir uns bei allen Vortragenden und Zuhörenden des Forschungskolloquiums „Gender im Fokus“ sowie beim Wiko für die Kooperationbedanken.

 

9 Vorträge in 8 Stunden, tolle Diskussionen und (hoffentlich) fruchtbare Vernetzungen machten sichtbar, wie etabliert und gefragt das mittlerweile 10. Kolloquium ist.

Die Vorträge aus der Medizin, Geschichte, anglophoner und germanistischer Literatur- und Sprachwissenschaft, und Politikwissenschaft zeigten damit aufs Neue das breite Anwendungsspektrum von Methoden der Geschlechterforschung auf. Untenstehend finden Sie die Abstracts der Vorträge.

Wir freuen uns aufs nächste Jahr!

 

 

Über das Forschungskolloquium.

Hier gehts zu vergangenen Kolloquien.

Hier gelangen Sie zu den Abstracts der Vortragenden:

9.00 Begrüßung und Vorstellungsrunde

Heide Volkening (IZfG / Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

9.20 Projektvorstellung Inklusive Exzellenz (InkE) in der Medizin. Geschlechteraspekte in der medizinischen Forschung

Jenny Linek (IZfG / Historisches Institut, Universität Greifswald), Hilke Beelich (Institute for Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald), Dagmar Waltemath (Institute for Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald)

Das vom BMBF geförderte Strukturprojekt InkE (Inklusive Exzellenz in der Medizin) mit Beteiligung der Universität Greifswald (UG) und der Universitätsmedizin Greifswald (UMG) befasst sich mit den Wissensbeständen und Erkenntnisprozessen der geschlechterspezifischen Medizin, die stärker als bislang in die medizinische Forschung einfließen sollen. Die bestehende Diskrepanz zwischen dem Wissen um die Bedeutsamkeit des Einflusses der Kategorie Geschlecht auf Gesundheit und Krankheit einerseits und der fehlenden Umsetzung dieser gendermedizinischen Erkenntnisse im medizinischen Forschungsalltag andererseits wird im InkE-Projekt aufgegriffen und bearbeitet. Werden Daten nicht geschlechtersensibel erhoben und – wie dies in der Vergangenheit häufig der Fall war – in klinischen Studien vorwiegend männliche Probanden untersucht, beeinträchtigt dies die Diagnostik, Behandlung oder Risikovorhersage von Erkrankungen. Ein wichtiger Bestandteil des Projekts ist es, die historischen Hintergründe dieser Geschlechterblindheit in der medizinischen Forschung aufzuklären und daraus Implikationen für die heutige Forschungspraxis in der Medizin abzuleiten. Aus dem interdisziplinären Team der UG und der UMG stellen drei Vertreter*innen ihre Arbeitsbereiche im InkE-Projekt vor. Im Mittelpunkt steht dabei die Integration von Geschlechteraspekten in den digitalen Datenlebenszyklus.

 

Moderation: Heide Volkening (IZfG / Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

10.00 Becoming Marc-of-Frankfurt: male sex work and the archive

Annalisa Martin (Historisches Institut, Universität Greifswald)

Working with the estate of male sex worker and activist ‘Marc-of-Frankfurt’, this paper will turn to Marc’s early experiences of sex work, around the time of the passage of the 2001 Prostitution Act in Germany. This will include reflections on Marc’s first experiences selling sex, and his marketing and business plans for his prospective career. It will situate his engagement in sex work in the corresponding changing legal framework, and consider whether the impact of the impending legal change can be identified in his decision to begin selling sex.

The paper will also reflect on the archive collection itself, in particular Marc’s process of collecting and self-archiving his experiences of sex work and activism. The archive offers a rare detailed insight into male queer sex work after the legalization of male-male sex in Germany, yet without claims to typicality or universality. The paper raises questions about the problems and possibilities of this peculiar source base, and its implications for the history of queer sex work in recent German history."

 

Moderation: Heide Volkening (IZfG / Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

10.30 Refigurating Representation – Contemporary Collages by Black Female Artists

Alessa Paluch (Caspar-David-Friedrich-Institut, Universität Greifswald)

Collage has been described as a feminist technique which questions predominant ideas about normalcy, accuracy and the figurative representation of the self and the world in general. Especially in Dada collages power relations and power dynamics are literally torn upside down and therefore deconstructed as culturally constructed. While the feminist approach towards collage has some (art) history, the idea of a queering techniqueis relatively new. There are two theory strings discussed: the one takes abiographical approach, making connections between queer artists and their collage methods (e.g.,works onHannah Höch), and the other sees collages as “strategies for creative approaches to counteracting and dismantling epistemic violence beyond (re)presenting it”. This paper will trace both, but will add the problematization of representation as concept, even if queered.Taking Miriam Schapiro’s and Melissa Meyer’s “Waste not Want not: An Inquiry into what women saved and assembled –Femmage” from 1977/1978 as vantagepoint this paper will playfully deploy queerage with the focus on collage in contemporary art. Today’s collages’ relations to power and its (re)presentation of queerness, blacknessand otherness will be analysed through the works of contemporary black female artists like Wangechi Mutu, Lorna Simpson, Ellen Gallagher, Mickalene Thomas, Frida Orupabo and others.

 

Moderation: Heide Volkening (IZfG / Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

11.30 Working Girl Loser. Narrationen weiblichen Versagens im Roman um 1930

Alisa Otte (Universität Greifswald)

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen zwei Romane, in denen die Lebensentwürfe der erwerbstätigen, weiblichen Hauptfiguren maßgeblich von Phänomenen des Versagens geprägt sind. Anhand der Überlegungen zur modernen Denkfigur des Versagens von Nora Weinelt und der Forschung zum „Working Girl“ beleuchtet die Masterarbeit den Zusammenhang von Versagen und Weiblichkeit in den Romanen und konzentriert sich in der Textanalyse auf Aspekte des Versagens, die deutlich von der geschlechtlichen Markierung der Protagonistinnen geprägt sind. Vor dem Hintergrund der Beobachtung Weinelts, dass literarische Phänomene des Versagens zu Beginn des 19. Jahrhunderts dezidiert männlich konnotiert sind, argumentiert die Masterarbeit, dass mit dem Auftritt der erwerbstätigen und damit öffentlichen Frau in der Literatur um 1930 Narrationen des Versagens auch für weibliche Lebensgeschichten möglich werden. So weisen die Texte von Hartwig und Schnitzler Figuren und Erzählverfahren auf, die durch den speziellen Modus der Nichterfüllung geprägt sind. Die Zuschreibung des Versagens geschieht vor einem heterogen strukturierten Erwartungshorizont, der sich auf tradierte weibliche Konzepte bezieht und von spezifischen Schreibweisen begleitet wird. Wenig überraschend wird der konkrete Zusammenhang von Weiblichkeit und Versagen in den Bereichen 1) Jugend, Erziehung und Familie, 2) Berufals Gouvernante bzw. Stenotypistin, 3) Konsum & Lesen und 4) Liebe nachweisbar. Die Masterarbeit kann zeigen, dass die Protagonistinnen durch ihr Versagen die an sie herangetragenen Positionen und Entwicklungsoptionen nicht besetzen und eine grundlegend andere Haltung zu zeitgenössischen Weiblichkeitsvorstellungen einnehmen. Hartwig und Schnitzler fügen der Gestaltung von Frauenfiguren in der Literatur der Zwischenkriegszeit somit eine neue Perspektive hinzu. Ihre Romane bilden ein widerständiges Moment und laufen herrschenden Diskursen und Konventionen inhaltlich und formalästhetisch entgegen.

 

Moderation: Anna Friederike Dajka (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

12.00 Zur performativen Seinsweise in Ruth Landshoff-Yorcks Roman Die Vielen und der Eine im Spiel mit einer Philosophie des Habens in der Theorie der Monadologie und Soziologie von Gabriel Tarde

Johanna Daether (Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

Der 1930 erschienene Roman Die Vielen und der Eine von Ruth Landshoff-Yorck wird im Zuge der vorliegenden Arbeit in einer Art experimentellen Versuchsanordnung mit der soziologischen Abhandlung der Monadologie und Soziologie von Gabriel Tarde spielerisch in Verbindung gebracht. Beide Texte widmen sich auf unterschiedliche Weise den Dimensionen des Sozialen. Bei Landshoff-Yorck können sie in wechselnden Figurenkonstellationen, in den Beziehungen der Figuren untereinander und dem Verhältnis zwischen den literarischen Räumen und den in ihr situierten Figuren nachgewiesen werden, wobei diese den Figuren nicht nur Umgebung sind. Die in der Monadologie und Soziologie erörterten Konzepte von Differenz, Wiederholung, Haben und Begehren werden zu einer monadologischen Analyse-Apparatur transformiert, die an den literarischen Text angesetzt wird, um Intensitäten freizulegen und sichtbar zu machen. Die untersuchten Liebes-Szenen bergen, mit einem monadologisch gerichteten Blick, eine gesellschaftskonstituierende Kraft. In dieser Arbeit wurde für eine offene Form des Seins plädiert, die sich, nach Tarde, durch ein Haben ausdrückt, also im gegenseitigen Besitz von jedem durch jeden einzelnen. Einander nie vollständig besitzen zu können, heißt auch, voneinander zu differieren, wobei sich das Prinzip der Differenz immer in Bewegung ausdrückt. Die Monaden werden durchdie elementaren Kräfte des Begehrens und der Überzeugung angetriebenundsind genau dort, wo sie ihre Aktivität entfalten, sich mit anderen Monaden zusammenschließen. Der Zustand des Zusammenschlusses in besonderen Gesamtheiten ist jedoch nur vorübergehend. Die Dynamik der Wiederholung und Differenz ließ sich im Roman Die Vielen und der Eine von Ruth Landshoff-Yorck wiederfinden, wobei festgellt werden konnte, dass sich die im Roman handelnden Figuren gleich der Tardeschen Monaden bewegen und sich zu besonderen Gesamtheiten, zu in sich differenten Einheiten zusammenschließen können. Die Figuren besitzen einander in unterschiedlich Graden, wobei sie auch immer für sichbleiben, sich nie gänzlich in gegenseitigem Besitztum auflösen. Die offene Form des Seins wurde an der Einheit als besondere Gesamtheit festgemacht. Dieser in sich differenten Einheit steht keine göttliche Substanz, wie zum Beispiel bei Leibniz, voran. Es wurde auch überlegt, welche Implikationen sich für die Kategorie „Geschlecht“ nach der Tardeschen Monadologie ergeben, wenn dem Sein keine ursprüngliche Substanz vorausginge und sich das Sein in einem Haben ausdrückt.

 

Moderation: Anna Friederike Dajka (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

13.30 "How can I one-up the vulnerability that I’ve shown?" The intersection of gender identity and professional identity in LGBTQ beauty videos on YouTube

Luisa Grabiger (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

Beauty influencers on YouTube are pivotal to the global cosmetic industry. Many companies that promote genderless beauty products try to build influencer partnerships with LGBTQ YouTubers. For successful influencers, YouTube could therefore act as a two-pronged plat form: It provides a reliable income and a space for creative self-expression that escapes binary gender norms. However, a professional influencer needs to perform a balancing act between individualised and genuine content and video styles that generate clicks and subscribers. Juggling the demands of YouTube’s algorithm poses challenges for queer influencers and is forcing them to share intimate details about their gender assignment and gender identity (Zimman 2021). My presentation will examine how the professional identity of LGBTQ beauty influencers intersects with their display of gender identity online. In that, I will analyse the range of semiotic resources YouTubers draw on to construct and index their identities, including linguistic stances, embodiment, and multimodal interactions with the platform. In order to approach identity work online, I will apply Bucholtz and Hall’s Tactics of Intersubjectivity framework (2005) and focus on their principle of relationality as my analytical tool. The model “encompass[es] the range of linguistic acts [...] undertaken by individuals in the performance and negotiation of their identities [...]” (Kim 245) and has proven fruitful for investigating gender and sexuality in interactions (cf. Morrish and Sauntson 22). I have compiled a specialised corpus of five make-up videos, their corresponding comment sections and an interview with a queer beauty influencer. Following an ethnographic-interactional approach to sociolinguistics, I will adopt digital ethnography (Varis and Hou 2020) and multimodal discourse analysis (Kress 2011) as my guiding methodology. My presentation is embedded in my ongoing PhD project. My thesis explores the online identit y construction of self-identified LGBTQ YouTubers and how their gender identity informs the multimodal practice of beauty vlogging. My project attempts to investigate through which semiotic resources YouTubers index their digit al group, gender, and influencer ident ity. Furthermore, I trace how these identity dimensions intersect and how they are verbally and non-verbally co-constructed within the Community of Practice (Bucholtz 1999).

 

Moderation: Katrin Horn (IZfG / Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

14.00 "I don't believe in the glorification of murder. I do believe in the empowerment of women" Women's anger & the 'good for her'-film

Anna Friederike Dajka (Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

The ‘good for her’ phenomenon, popularized by a meme originating from the sitcom "Arrested Development," has become a rallying cry for women's anger. As part of my dissertation on “Women’s Anger in Contemporary Popular Film and Literature”, this presentation attempts a definition of the concept and explores its journey, from its internet meme roots to its current and distinct place in film.Thus far, the limited academic attention the ‘good for her’-film has received often reduces it to a mere update or gender-swap of established film tropes such as the ‘final girl’ or ‘the vigilante’. However, I argue that the ‘good for her’-film is a much more timely, complex, and nuanced approach to rage, and revenge and provides a much-needed platform for validating women’s anger. By connecting it to the #MeToo movement, I show how the ‘good for her’-film not only encourages women’s anger expression but allows for identification with female experiences without glorification or sexualisation of their victimhood. It thereby transcends mere revenge narratives and centres its cathartic potential on the empowerment of women instead of indulging in its revenge-seeking violence.The popularity of ‘good for her’ films and the online discussions they spark highlight their cultural significance as well as our cultural yearning for accessible and ruthless revenge for women. By shedding light on the significance of the emerging trope, I will demonstrate how it harnesses the power of female rage as a driving force for both narrative innovation and challenging societal expectations of femininity.

 

Moderation: Katrin Horn (IZfG / Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

14.30 Cross-level Representation of Women – representative claim-making in the European Commission and the German national government

Darius Ribbe (Institut für Politik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Greifswald)

In this paper, I compare the representative claim-making of members of the German national government and Commissioners of the European Commission, with a focus on claims to represent women. Both political levels, supranationaland national, are important arenas of representation. However, the supranational EU level is often seen as subordinate to the national political arena and receivesless media attention.The Europeanand the nationallevel both have important legislative competences, which makes them critical actors for the representation of women. On the one hand, the European Commission is the non-majoritarian organisation at the core of the policy-making processes of the European Union (EU). Over time, the Commissioners have extended their competences beyond its “watchdog of the treaties” and “agent of the member states” function. With Juncker’s “Political Commission” and growing public demand for exercising quasi-governmental and representative functions, the college of Commissioners has evolved its roles from a technocratic to a political actor. Yet, the representative functions of the European Commission remain understudied. The national level, on the other hand, has been extensively studied regarding its representative functions, especially the German parliament and chancellors. The legislative competences of the Bundesregierung extend those of the European Commission, so that critical actors for women ́s representation have more potential for substantive representation. Further, governments are influenced by partisan polarisation, election-cycles, and office-seeking career politicians, whereas the European Commission is less partisan, decides unanimously, and is often seen as a less favourable career optionby politicians.Although the European Parliament tried to reform the election process of the European Commission presidentand link it to the European Parliaments elections, this process only succeeded in 2014, whereas the member state governments dominated the nomination of Ursula von der Leyen in 2019. In this paper, I argue that the claim-making patterns in the European Commission have evolved to become likethose in (sub-)national governments, which is an indicator for the politicised role of the Commission. This poses challenges to the gender-mainstreaming of the Commission ́s actions.To approach the representative performances by (quasi) governments on both levels, I draw from Representative Claim theory, measuring claim-making and claim content. I develop threeexpectations, two for sex dependent differences in the claim-making behaviour, and onefor the influence of party polarisation. First, women Commissioners are more likely than men to claim to represent women or their interests. This is because of shared identities and experiences, as well as the motivation to represent women in the still masculinist political systems. Second, the topics of representative claims voiced by women and men are substantially different, because the portfolios of Commissioners and Ministers are gendered –with women Commissioners/Ministers more often assigned to “feminine” portfolios or topics. Last, partisan polarisation on gendered issues predicts claim-making only on the national level, as ministers take active part in elections, are office-seeking, and are not bound by a club spirit of unanimity, as is the college of Commissioners. I test these hypotheses by applying a representative claim analysis to a corpus of speeches by European Commissioners andthe German Political Speech Corpus, as well as quantitative content analyses. Doing so contributes to the literature on women ́s representation in multi-level political systems, the representative behaviour of women and men in office, and empirical analyses of representative claim-making by (non-)elected representatives in politicised institutions.

 

Moderation: Katrin Horn (IZfG / Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Greifswald)

 

15.30 Zeit und Zugehörigkeit in queeren und postmigrantischen Erzählungen der Gegenwart

Hannah Willcox (Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

Literarische und filmische Erzählungen der Gegenwart, die postmigrantische und queere Perspektiven vereinen, intervenieren in lineare Chronologien von Generationenerzählungen und konventionelle Vorstellungen ethno-nationaler, hetero-familiärer Zugehörigkeit. Einer prekären Gegenwart, einem unzugänglichen Erinnerungsarchiv der familiären Migrationsgeschichte und der Ungewissheit einer alternativen Zukunft begegnen sowohl die beiden Romane – 1000 serpentinen angst (Olivia Wenzel, 2020) und Messer, Zungen (SGL, 2022) – als auch der Spielfilm – Futur 3 (Jünglinge, 2020) – mit nicht-chronologischen Verfahren der Zeitdarstellung. Sie hinterfragen die konsekutive Beziehung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und stören damit die dominanten temporalen Logiken von Linearität, Kausalität und Tiefe. In einem „queer[en]“ Sinne zeigen sie die „errant, eccentric, promiscuous, and unexpected organizations of social life“ (Keeling, 2019), womit queere, postmigrantische und dekoloniale Ordnungen der Relationalität sichtbar werden.

Zur Analyse des Verhältnisses von Zeit und Zugehörigkeit sucht der Beitrag theoretische Konzepte der Black und Postcolonial Studies, der Queer Studies und des aktuellen Diskurses zum Postmigrantischen in einen produktiven Dialog miteinander zu bringen und fragt nach den Arten, auf die die Erzählungen die chronologische, reproduktive Abfolge von Generationen queeren und wie sie eine intergenerationale Geschichte der Migrations-, Gewalt und Othering-Erfahrung so erzählen, dass eine Zukunft der Zugehörigkeiten in Deutschland adressierbar wird.

 

Literatur

Futur Drei. Deutschland 2020. Regie: Faraz Shariat.

Goldschmidt-Lechner, Simoné: Messer, Zungen. Berlin 2022.

Keeling, Kara: Queer Times, Black Futures. New York 2019.

Wenzel, Olivia: 1000 serpentinen angst. Frankfurt a. M. 2020.

 

Moderation: Yaiza Otero (Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

 

16.00 Gender, Sprache und queere Medialität in Blutbuch (2022)

Louise Curtis (Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)

In Kim de l’Horizons Debütroman Blutbuch (2022) wird eine Erzählweise gesucht, um über den nichtbinären Körper schreiben und reden zu können. In Anlehnung an Hélène Cixous werden die écritures fluides im Roman als einen Modus der kritischen Auseinandersetzung instanziiert. Die Verwendung von und das Experimentieren mit der Sprache konfiguriert und betont ihre performative Funktion. Die Problematik der Repräsentation wird dementsprechend grundlegend in Frage gestellt, indem der flüchtige, dennoch und deswegen konkrete, Moment der Interaktion betont wird. Dabei stehen Solidarität, Gemeinschaft und Vernetzung im Zentrum der Erzählung, sowohl zwischen Menschen als auch über die Grenzen des Menschlichen. Zwei konkrete Beispiele werden vorgestellt, um diese textuelle Einstellung zu konkretisieren. Die Digitalität, sowohl die Verwendung von digitalen Mitteln in der Erzählung als auch die postdigitale Erzählweise, problematisiert den ausgrenzenden Anspruch auf Expertise in der Wissensproduktion. Die Inszenierungen von Cruising im Roman positionieren die Erzählfigur weiterhin in einer queeren Umwelt, was ich mit Roderick Ferguson und José Esteban Muñoz als multidimensionale Momente der Verschränkung von Menschen, Geschichte und Raum lese. Ich möchte zeigen, wie diese Betonung der Medialität eine alternative Vision der situierten Wissensproduktion durch die poetische Praxis der écritures fluides verwirklicht.

 

Moderation: Yaiza Otero (Institut für deutsche Philologie, Universität Greifswald)