Gewaltgeschichten. Krieg und Geschlecht im 20. und 21. Jahrhundert

Ringvorlesung des IZfG im Sommersemester 2023

Konzeption: Anna Efremowa M.A., Dr.in Annalisa Martin, Prof.in Dr.in Annelie Ramsbrock

Ort: Universität Greifswald, Rubenowstr. 3, Hörsaal [EG] oder unter IZfG-digital(*)

Zeit: Montag 18.00 -20.00 Uhr c.t.

Männer* verteidigen das Land – Frauen* und Kinder verlassen das Kriegsgebiet. Im andauernden Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine wird deshalb wiederholt von einer „heteronormativen Rollenverteilung“ gesprochen, wie etwa die Wiener Historikerin Claudia Kraft in einem Interview der Süddeutschen Zeitung im März 2022 durchaus kritisch festhielt. Das Thema Krieg und Geschlecht ist wieder hochaktuell, und zugleich kann Zweifel daran bestehen, dass Geschlechterverhältnisse im Krieg nicht in Flucht und Verteidigung als zwei logischen Reaktionen aufgehen. Geschlechterverhältnisse sind immer auch Bestandteil des Alltagslebens; werden neu im Ausnahmezustand entworfen, mindestens aber verschoben. Die Mobilmachung von Frauen* in beiden Weltkriegen und die darauffolgende schwierige Rückkehr militarisierter Männer* ins Zivilleben ist nur eines von vielen Beispielen aus dem vergangenen Jahrhundert, das den Prozess der sich wandelnden Geschlechterverhältnisse in Krieg und Nachkrieg eindrücklich zeigt.

Aus Anlass der aktuellen Diskussion verweist die Ringvorlesung auf weitere Szenarien der Verschiebung von Geschlecht und sozialen Rollen in Vorkriegs-, Kriegs- und Nachkriegszeiten des 20. und 21. Jahrhunderts, wobei Geschlechterfragen im Alltag des Ausnahmezustands eine besondere Bedeutung zukommt. Dabei findet auch die Rolle von sexualisierter Gewalt im Krieg sowie das Verhältnis von Queerness und Kriegserfahrungen in der Vortragsreihe Beachtung. Die Reihe ist interdisziplinär angelegt und präsentiert verschiedenartige Schauplätze kriegsbedingter Ausnahmezustände. Die Vorträge befassen sich mit den Erfahrungen an der Front und Heimatfront, mit Inhalten von Propaganda und Aufarbeitung und mit geschlechtsspezifischen Erinnerungen und ihrer Verarbeitung in der Kunst und Literatur.

(*) Angehörige der Universität Greifswald können sich mit ihrem Account in den Moodlekurs einwählen, externe Gasthörer*innen finden den Direktlink zum digitalen Hörsaal im Reiter der jeweilgen Vorlesung.

Hier finden Sie Informationen zu den einzelnen Vorträgen:

17.04.2023 - Prof.in Dr.in Svenja Goltermann (Universität Zürich): Was vom Krieg blieb. Deutsche Kriegsheimkehrer nach 1945

Moderation: Prof.in Dr.in Annelie Ramsbrock

Kriege haben nicht nur Vorboten. Sie verändern die in den Krieg involvierten Gesellschaften oft zutiefst, greifen in etablierte Ordnungen der Geschlechter ein, zerstören Körper von Menschen oder hinterlassen Spuren in ihren Psychen. Von vielfältigen Kriegstraumata kollektiver und individueller Art wird deshalb heute oft gesprochen, doch die Rede vom Trauma verdeckt häufig mehr als sie an Einsichten freilegt. Denn das, was vom Krieg bleibt, ist keineswegs einheitlich, sondern von historisch spezifischen Erfahrungen während und im Gefolge des Krieges wesentlich geprägt, wie der Vortrag sichtbar machen wird. Er fokussiert dabei auf deutsche Kriegsheimkehrer nach 1945, die über kürzere oder längere Zeit, oft auf Betreiben ihrer Angehörigen, in psychiatrischer Behandlung waren. Anhand ihrer Träume, Ängste und Bemühungen, ein Anderer zu werden, lässt sich eine Hinterlassenschaft des Krieges greifen, der aus sehr unterschiedlichen Gründen für sie zu einer Bürde geworden war. 

Die Auftaktveranstaltung findet im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg, Martin-Luther-Straße 14 statt. Zugang zum digitalen Hörsaal: https://www.wiko-greifswald.de/programm/digitale-veranstaltungen/zugang-zum-digitalen-hoersaal/zugang-zum-digitalen-hoersaal-ab-14/

08.05.2023 - Prof.in Dr.in Bettina Engels (FU Berlin): Geschlechterperspektiven in der Friedens- und Konfliktforschung

Moderation: Anna Efremowa, M.A.

Der Vortrag gibt einen Überblick über feministische Ansätze in der Friedens- und Konfliktforschung. Anhand von drei Themen möchte ich vorstellen, wie Geschlecht in der Forschung über bewaffnete Konflikte sowie der sicherheits- und friedenspolitischen Praxis diskutiert wird: Sexualisierte Kriegsgewalt, militärische Männlichkeit und „embedded feminism“. Gender ist im Mainstream der Friedens- und Konfliktforschung und in der Sicherheits- und Friedenspolitik angekommen. An den Machtverhältnissen und der damit verbundenen Verteilung materieller Ressourcen innerhalb des Forschungsfelds und der politischen Praxis hat dies bislang jedoch nichts geändert.

Zugang zum digitalen Hörsaal: https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/83431801607?pwd=b2NDazdIQnVtMEZVbFJGK2JKMHdMUT09

22.05.2023 - Dr. Richard Kühl (Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf): 'Sexualkatastrophe' 1914/18. Magnus Hirschfelds vergessener Kampf um eine andere Erinnerung an den Ersten Weltkrieg

Moderation: Dr.in Annalisa Martin

Oft wird vergessen, dass Magnus Hirschfelds sexualwissenschaftlicher Klassiker „Sittengeschichte des Weltkrieges" von 1930 nicht nur eine für seine Zeit ungewöhnliche Fragestellung verfolgte, sondern auch Teil der zehn Jahre nach dem Krieg entbrannten Debatte um Remarque und die „wahre" Schilderung des „Kriegserlebnisses" war. Der Vortrag fragt danach, auf welchen Wissensbeständen Hirschfelds Diagnose von einer epochalen Einwirkung des Krieges auf die sexuelle und die geschlechtliche Sphäre aufruhte und welche Spuren es in der Kriegserinnerungskultur der Weimarer Republik hinterließ.

Zugang zum digitalen Hörsaal:
https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/86008222159?pwd=UWRrTk83cHFNN3ZNRVNQV3ArQTBRQT09

12.06.2023 - Anna Kvit, M.A. (University College London): War in Ukraine. Role of women in defence and resistance

Moderation: Dr.in Annalisa Martin

Since the beginning of the russia’s war against Ukraine, Ukrainian women have been involved in the defence of the country. The lecture examines women’s roles and rights during the war focusing on women in the Ukrainian military and their participation in the resistance against occupation. It analyzes the reality of women in the military from the perspectives of policy, society- and self-perception. It also adds a local perspective to the agency/victimhood debate around women’s roles during the war. 

Zugang zum digitalen Hörsaal:
https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/86047714954?pwd=YkhpWURYYzd3cU1VWWF2UnZ1cHNCQT09

26.06.2023 - JProf. Dr. Roman Dubasevych (Universität Greifswald): Trauma, Krieg und gedemütigte Männlichkeit - die Geschichte einer Wiederholung

Moderation: Dr.in habil. Heide Volkening

Der russische Angriff gegen die Ukraine überraschte nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern vor allem die Ukrainer*innen selbst. Trotz der Annexion der Krim und der Unterstützung der separatistischen „Volksrepubliken“ im Donbas hielten sie eine Invasion des vertrauten Nachbarn für unmöglich. Während die Debatte in den Medien meist um die Fragen der Geopolitik, Sanktionen oder Waffenlieferungen kreist, werden im Vortrag noch einmal die kulturellen Hintergründe beleuchtet, die den Nährboden für den Krieg bereiteten. Sowohl der Aggressor als auch das Opfer begründen diesen Krieg als Kampf um die eigene Sicherheit, Identität und Zivilisation, bei dem wieder alles auf einer Karte steht. Die Annäherung an die festgefahrenen Selbstbilder und Erzählungen macht aber deutlich, dass die Zeichen auf Konfrontation schon lange vor dem Ausbruch der Gewalt standen. Besonders prominent manifestierten sie sich in Bildern heroischer Maskulinität und in den mit ihnen verknüpften Opfernarrativen, mit denen beide Gesellschaften auf den Kollaps des Sozialismus und Verunsicherung durch den Kapitalismus reagierten.

Zugang zum digitalen Hörsaal:
https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/88946211038?pwd=eC9jRXBsMlVVS0d2ckg3NXpJOHNNZz09

10.07.2023 - PD Dr.in Juliane Fürst (Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam):Widerstand und Propaganda. Eine Zeitgeschichte russischer Soldatenmütter

Moderation: Prof.in Dr.in Annelie Ramsbrock

Soldatenmütter sind eine feste Konstante in der modernen Kriegsführung und Kriegspropaganda. Das galt auch in der Sowjetunion, in der Stalin in den 30er Jahren im Zuge der Militarisierung der Gesellschaft eine stark pro-natalistische Frauenpolitik einführte und später das Bild der Mutter zentral in die Propaganda des Großen Vaterländischen Krieges miteinbrachte. Die Figur der Soldatenmutter gewann jedoch eine neue Dimension in den 80er Jahren, als im Zuge des Afghanistankrieges sich eine Vereinigung von Müttern Wehrpflichtiger etablierte, die Transparenz und Reformen in der sowjetischen Armee forderte. Die ‚Soldatenmütter‘ entwickelten sich zu einem nicht zu unterschätzenden Faktor in der allgemeinen sowjetischen Meinungsbildung. Sie unterstützten die Perestroika und wurden zu einer der wenigen Stimmen des Protestes in den Tschetschenienkriegen. Unter Putin wurde die Vereinigung weitgehend gleichgeschaltet und für Kriegspropaganda instrumentalisiert. Die Geschichte zeigt jedoch, dass der staatliche Anspruch an Soldatenmütter und ihre eigenen Anliegen oft weit auseinanderklaffen und somit Potential für Konflikte liefert.

Zugang zum digitalen Hörsaal:
https://uni-greifswald-de.zoom.us/j/83673414302?pwd=TXJ3YnlXaVRlVWZSNE9NR1IveXpuZz09