Gender und Diversity
Ringvorlesung im Wintersemester 2012/13
Im Auftakt der Ringvorlesung geht es zunächst um eine Einführung in die Situation der Geschlechterforschung. Dabe geraten zwei Dinge in den Fokus: einerseits die Geschichte der Geschlechterforschung nach Judith Butlers "Gender Trouble", andererseits die Skepsis, die die Etablierung der Gender Studies innerhalb der Kulturtheorie (u.a. bei Terry Eagleton und Slavoj Žižek) hervorrief. Sodann werden verschiedene, oftmals mit dem Konzept Diversity verbundene Gleichstellungsstrategien der letzten Jahre kommentiert. Diese drei Rahmen – Geschichte der Geschlechterforschung, Kulturtheorie, Diversity als soziale Praxis – dienen schließlich zur Vorstellung der Vorträge innerhalb des Wintersemesters.
Hania Siebenpfeiffer, Prof. Dr. phil., ist Juniorprofessorin für Neuere deutsche Literatur an der Universität Greifswald. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Literatur-, Kultur- und Wissensgeschichte der Frühen Neuzeit; Text-Bild-Verhältnisse; Diskurstheorie/Diskursanalyse; Gewalt/Geschlecht/Kriminalität; Literatur und/als Wissen; Literatur/Kultur der Moderne.
Peter Pohl, Dr. phil., ist seit 2010 Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie an der Universität Greifswald. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Geschlechtergeschichte und -theorie; Intermedialität; Literatur und Kultur des 18 bis 20. Jahrhunderts; Bildungsgeschichte; Romantheorie.
Der Vortrag fragt nach dem Platz von Männern und Männlichkeiten innerhalb einer mehrfach relational gedachten historischen Geschlechterforschung. Die ‚Männergeschichte‘ boomt und hat wertvolle Ergebnisse hervorgebracht, doch waren die Konsequenzen für die Geschlechtergeschichte insgesamt nicht nur positiv. Der Vortrag versucht, Bilanz zu ziehen und zugleich programmatische Ziele zu formulieren.
Olaf Stieglitz, Dr. phil. habil., ist Privatdozent am Historischen Institut der Universität zu Köln; er vertritt im WS 2012/13 die Professur für nordamerikanische Geschichte an der FU Berlin.
Sigmund Freuds Allegorisierung weiblicher Sexualität als ‚dark continent’ verweist auf die Konfluenz von Rasse/Primitivität und Gender/Weiblichkeit als konstitutive Ausschlüsse von Subjekt und Kultur der Moderne. Whiteness und Phallus werden zum Fetisch; Rasse und Weiblichkeit zum Vor-oder-Außerhalb; zum konstitutiven Außen – dem Unbewussten – dieses Subjekts. Die weiblich und rassisch codierte Triebhaftigkeit sucht das Subjekt jedoch heim und bringt das ‚Unbehagen in der Kultur’ hervor.
Eine postkolonial-poststrukturalistische Lesart der psychoanalytischen Subjekt(ivierungs)theorie verdeutlicht, welche Bemächtigungsgeschichten in ihrem Unbewussten gespeichert sind und wie Whiteness gegen das Erkennen des ‚Racial Contract’ immunisiert.
Martina Tißberger, Dr. phil., ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Pädagogik, Fachgruppe Migration und Bildung, an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
‚Hybridität‘, ‚Mimikry‘ und ‚Dritter Raum‘: Homi K. Bhabha hat als Mitglied der so genannten ‚holy trinitiy‘ der Postkolonialen Studien mit seinen schillernden Konzeptmetaphern weltweite Rezeption erfahren und neue Denkansätze für die Komplexität von kulturellen Verflechtungen und Kulturkontakten formuliert. Im Vortrag soll seine Theorie zunächst überblicksartig vorgestellt werden, um anschließend kritische Fragen nach der Gender-Affinität seines Denkens aufzuwerfen.
Karen Struve, Dr. phil., ist Postdoktorandin in der Romanistik und Kulturwissenschaft an der Universität Bremen.
Seit ein paar Jahren boomt die Forschung zu Intersex, besonders in den Gender Studies. Aber haben intergeschlechtliche Menschen etwas davon? Die Vortragenden entwickeln Kriterien einer respektvollen Forschung und präsentieren erste Ergebnisse einer internationalen Studie zu den Folgen der Tabuisierung von Intergeschlechtlichkeit.
Ulrike Klöppel, Dr. phil., Humboldt-Universität Berlin, forscht u.a. zur Geschichte von Intersexualität und engagiert sich für die Organisation Intersex International (OII Germany).
Kai (Dan) Christian Ghattas, Dr. phil., ebenfalls OII, ist im Bereich Intergeschlechtlichkeit politisch sowie als Trainer und Forscher tätig.
Wer hat Angst vor dem bösen Cyborg? Die Antwort Ende 2012 lautet unweigerlich: kaum jemand. Die Brisanz von Donna Haraway Figuration technisch-biologischer Identität ist verjährt. Geblieben ist ihr analytisches Potential, das Zwischenspiel von Körper, Geschlecht und Technologie in der Gegenwart zu durchleuchten: von Bill Joys Nanodystopien über die Fruchtbarkeitsinszenierung der ‚Octomom‘ bis hin zu dem Sentimentalitätsspektakel, das Thomas Beatie aus der männlichen Schwangerschaft erschafft.
MaryAnn Snyder-Körber, Dr. phil., ist Wissenschaftliche Assistentin am John F. Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin und Mitherausgeberin des 2012 erscheinenden Sammelbands „Machine: Bodies, Genders, Technologies“ (Heidelberg: Universitätsverlag Winter).
Wenn Lady Gaga ein Kleid aus Fleisch trägt und das Männermagazin Beef! auf seinem Cover einen Rinderkörper abbildet und mit dem Slogan wirbt „Das Schönste hat Gott schon immer aus Rippen erschaffen“, stellt sich nicht nur die Frage nach Geschlechterverhältnissen. Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit werden in diesen Beispielen in einer unmittelbaren Weise mit dem Tierischen, dem Animalischen konfrontiert. Der Vortrag fragt nach den Allianzen, die Gender und Animal Studies in der kultur- und literaturwissenschaftlichen Analyse eingehen können.
Julia Bodenburg, Dr. phil., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Germanistischen Institut (Neuere deutsche Literatur) der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
Diversity-Konzepte existieren nicht als fix und fertige, sondern werden diskursiv oder auch narrativ erzeugt. Eine Vielfalt solcher Narrationen, oft verbunden mit unterschiedlichen Diskurspositionen, gibt es sowohl zur Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Diversity als auch zum Verständnis und zum Verhältnis von Gender und Diversity. Diese Deutungskämpfe um und zugleich Verfertigungen von Diversity als Konstrukt(e) und Konzept(e) sind Gegenstand des Vortrags.
Gertraude Krell, Dr. rer. pol., war bis zu ihrer Pensionierung Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Personalpolitik am Institut für Management der Freien Universität Berlin.
Der aktuelle Hype um Diversity hat sich über dessen Verbindung mit dem Management im betrieblichen Kontext etabliert. Mit welchen Diversity-Begriffen wird in Betrieben gearbeitet? Welche Strategien werden mit Diversity Management verfolgt? Inwiefern geht es dabei um das Verkünden von Firmenphilosophien, um bessere Chancen im Wettbewerb oder um Chancengerechtigkeit? Beispiele aus der Organisationskulturforschung geben Einblicke in konkrete Umsetzungen und deren Problemfelder. Sind die Diversity-Prozesse an Hochschulen damit vergleichbar?
Margrit E. Kaufmann, Dr. phil., ist Senior Researcher für Ethnologie und Kulturwissenschaft am Bremer Institut für Kulturforschung (bik) der Universität Bremen und wissenschaftliche Expertin für Diversity Studies/Management in und außerhalb der Universität Bremen.
Die von der Filmkritik zwiespältig aufgenommene US-Filmkomödie "Soul Man" (Regie: Steve Miner) erzählt die Geschichte eines weißen Hochschulabsolventen, der sich mithilfe von Bräunungspillen als Schwarzer ausgibt, um eines der begehrten Studienstipendien der Harvard Law School zu erhalten. Die Handlung geht lose auf einen Rechtsfall aus dem Jahr 1978 (Regents of the University of California vs. Bakke) zurück, in dessen Urteil der Supreme Court der Vereinigten Staaten die Diversität (in diesem Fall der Studierendenschaft) als Staatsinteresse festhielt und die Quotierung nach ehnischer Zugehörigkeit ausdrücklich billigte.
In den USA erhielt Soul Man mit der Präsidentschaftswahl von Barack Obama, der 1988 sein Studium an der Harvard Law School aufgenommen hatte, neue Beachtung. Dass die Debatte um ‚blackface‘ gut 25 Jahre später auch in Deutschland keineswegs historisch ist, zeigen die Auseinandersetzungen 2011 um das Stück "Ich bin nicht Rappaport" am Schlossparktheater Berlin und 2012 um Michael Thalheimers Inszenierung von Dea Lohers Stück "Unschuld" am Deutschen Theater in Berlin.
Hania Siebenpfeiffer und Peter Pohl (Greifswald)
Immer wieder wird bis heute auf eine angeblich hohe Beteiligung von Frauen in der RAF hingewiesen. Vor allem am bundesdeutschen Beispiel lässt sich zeigen, wie vehement die Ablehnung gegenüber der als Angriff gegen die Geschlechterordnung wahrgenommene Beteiligung von Frauen am bewaffneten Kampf ausfiel. So lässt sich sagen, dass über vergeschlechtlichte Zuschreibungen in den Massenmedien die Geschlechtergrenzen einmal mehr zu verteidigen gesucht wurden. Solche Zuschreibungen changierten zwischen den Polen der begehrenswerten Mädchen und der gescheiterten Mütter. Nicht zuletzt lassen sich hier auch Anschlüsse an ältere Feindbilder feststellen, wenn in den 1970er Jahren beispielsweise die Rede vom ‚Flintenweib‘ eine Konjunktur erlebt.
Hanno Balz, Dr. phil., ist Historiker und Kulturwissenschaftler in Bremen und schreibt gerade an seiner Habilitation. Zuletzt war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Leuphana Universität Lüneburg. Im Herbst 2008 erschien von ihm im Campus Verlag: „Von Terroristen, Sympathisanten und dem starken Staat. Die öffentliche Debatte über die RAF in den siebziger Jahren“.