Digitale Sichtbarkeit
Ringvorlesung des IZfG im Wintersemester 2019/20
Konzeption: Theresa Heyd, Heide Volkening
Unter dem Titel Digitale Sichtbarkeit widmet sich die Ringvorlesung Dimensionen der Teilhabe, Repräsentation und Modellierung von Geschlechtern im Kontext digitaler Medien. Dabei soll es sowohl um Darstellungen und Inszenierungen von Geschlecht als auch um empirische Phänomene wie ungleiche Zugänge zu oder Praktiken des Umgangs mit digitalen Formaten gehen. Die Vorträge untersuchen heterogene Formen von Geschlecht als Kategorie digitaler Sichtbarkeit. Was 'Sichtbarkeit' im Spannungsfeld zwischen Repräsentation, Anerkennung und Normierung heißen kann, soll im konkreten Einzelfall jeweils neu befragt und diskutiert werden.
Hier finden Sie Informationen zu den einzelnen Vorträgen:
Eröffnungsvotrag von Isabel Paehr (Berlin) und Johanna Schaffer (Kunsthochschule Kassel)
18.00 Uhr im Alfried Krupp Wissenschaftskolleg (Martin-Luther-Straße 14)
In digitalen Medienrealitäten verliert der Begriff Sichtbarkeit die oppositionellen Konnotationen fast vollständig, die ihm vor allem migrantische und feministische Kontexte in den 1980er Jahren angeheftet hatten. Die herrschaftskritische Forderung nach Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen, mit der die polemische Verwendung des Begriffs verbunden war („Mehr Sichtbarkeit für …“), ist heute durch die Bedeutungskette Sichtbarkeit = views = Monetarisierbarkeit überschrieben. Wir möchten in unserem Vortrag daher ein Set von Begrifflichkeiten durchspielen, das unserer Meinung nach besser geeignet ist, kritisch über visuelle Kommunikation und digitale Infrastrukturen nachzudenken: z. B. Visualität (als historisch mit Kriegsführung und Versklavung verbunden), verteilte Handlungsfähigkeit, Flachheit, Permeabilität, Anonymität, ‚bio-informational’. Als Anlass nehmen wir unter anderem eine Auftragsarbeit für das US-Verteidigungsministerium, das 2018 die „Nutzbarkeit von Memes für Influence Campaigns“ untersucht, sowie kryptofaschistische Bedeutungsproduktion auf Reddit. Perspektiviert werden unsere Überlegungen durch unsere eigenen Auseinandersetzungen mit kritischen visuellen Setzungen im digitalen Raum.
Isabel Paehr untersucht, wie Virtualität hergestellt und distribuiert wird. Sie entwickelt künstlerische Anordnungen und performt, schreibt und programmiert in kollaborativen Arbeitsformen entlang verschiedener Wissensgebiete und -praktiken. Johanna Schaffer arbeitet als Schreibende und Lehrende, die sich für die politischen Dimensionen ästhetischer Prozesse interessiert, oft gemeinsam mit Gestalter*innen und Künstler*innen. An der Kunsthochschule Kassel leitet sie den Arbeitsbereich Theorie und Praxis der Visuellen Kommunikation und hat für einen Turnus das Amt der Vizerektorin für Studienangelegenheiten inne. Isabel Paehr und Johanna Schaffer sind Teil der selbstorganisierten Arbeitsgruppe „Maschinistisches Wahrnehmen“.
Moderation: Theresa Heyd & Heide Volkening
Elizabeth Prommer (Uni Rostock, Institut für Medienforschung)
18.00 Uhr, Rubenowstraße 3, Hörsaal
Die Video-Plattform YouTube ist eines der wichtigsten Angebote online (mpfs 2018) für Kinder und Jugendliche. Durch seine benutzerbasierte Struktur entstehen durch YouTube neue Netz-Öffentlichkeiten und Diskurse. Dabei ist zu hinterfragen, inwieweit die Plattform tatsächlich Empowerment-Prozesse zum Zweck einer größeren inhaltlichen Vielfalt und Diversität leisten kann und welches Innovationspotential YouTube hinsichtlich der Möglichkeit der Partizipation (Jenkins et al. 2015) und Verbindung von Menschen (Dijck 2013) hat.
Hier werden die Ergebnisse einer Inhaltsanalyse dargestellt, die eine ungleiche Sichtbarkeit der Geschlechter auf YouTube zeigen: Frauen sind deutlich unterrepräsentiert. Bei den 1.000-Top-Kanälen liegt der Anteil der weiblichen YouTuber*innen bei unter 20 Prozent. Bei den Top-100-erfolgreichsten Kanälen wird bei den Hauptakteur*innen ein Verhältnis von 1:2 erreicht; das sind 29 Prozent weibliche gegenüber 69 Prozent männlichen YouTuber*innen. Es zeigt sich sogar, dass geschlechtsspezifische Differenzen auf YouTube nicht nur bestehen, sondern durch die Bedingungen und Mechanismen der Plattform verfestigt werden.
Ramon Reichert (Wien)
18:00 Uhr, Rubenowstraße 3, Hörsaal
Gesichtsbilder sind in der digitalen Bildkommunikation der Plattform- und Onlinegesellschaft allgegenwärtig. Ihre zentrale Rolle bei Selbstthematisierungen hat nicht nur ein faciales Sichtbarkeitsregime etabliert, sondern auch kritische Reflexionsprozesse über den Stellenwert und die Rolle von visueller Repräsentation und technischen Medien in Gang gesetzt, mit denen ästhetische Verfahren und geschlechtspolitische Strategien der Konstruktion und Dekonstruktion von Selbst- und Körperbildern ausgelotet werden können. Konkret befasst sich der Vortrag mit dem kritischen Potential der Defacialisierung und der Demedialisierung des Gesichts als geschlechtliche Einschreibe- und Projektionsfläche.
Konstanze Marx (Greifswald)
18:00 Uhr, Rubenowstraße 3, Hörsaal
Vor ziemlich genau einem Jahr entwickelte sich auf Twitter (und darüberhinaus) eine Debatte unter dem #GamerLeaksDE. Im Kern wurden Sexismus, Rassismus und Homophobie im Kontext von Computerspielen problematisiert. Der Vortrag nimmt seinen Ausgangspunkt an dieser Diskussion, verlagert jedoch den Fokus weg von den Inhalten hin zur interaktiven und auf YouTube einsehbaren Aushandlung von Spielen, die Gewalt u. a. gegen Frauen zum Gegenstand haben. Diese Kommunikation entwickelt sich vor der Folie medialer Aufmerksamkeitslogiken, die aufgezeigt und mit Blick auf den Kinder- und Jugendmedienschutz kritisch diskutiert werden.
Annekathrin Kohout (Siegen)
18:00 Uhr, Rubenowstraße 3, Hörsaal
Empowerment ist eines der mächtigsten Konzepte der Gegenwart. Sowohl in der Politik – man denke an Barack Obamas „Yes we can!“, oder Angela Merkels „Wir schaffen das!“ –, als auch in der Kultur hat sich die Strategie in kürzester Zeit auch außerhalb der Sozialen Arbeit etabliert.
Auch als Bildstrategie wurde Empowerment in den Sozialen Medien durchgesetzt – und das ist überraschend. Denn in Bildern der Kunst, der Werbung oder des Aktivismus herrschten, wenn es darum ging, Gesellschaft zu verändern, lange Zeit andere Bildstrategien vor. Gebräuchlich waren Provokation, Subversion oder (Hyper-)Affirmation – nicht aber Empowerment.
Dabei nehmen Empowerment und Provokation unter den genannten Bildstrategien eine Sonderrolle ein, denn sie zielen auch auf eine konkrete Wirkung. Im Vortrag werden die Strategien einander gegenüberstellt und gefragt, was sie jeweils für die von Feminist*innen erwünschten politischen, gesellschaftlich und kulturellen Veränderungen leisten können.
Berit Glanz (Greifswald), Elias Kreuzmair (Greifswald)
18:00 Uhr, Rubenowstraße 3, Hörsaal
Soziale Medien, das heißt: Reichweite und Wirkung beeinflussen einander. Steigt die Reichweite aber in einem Maß an, dass ein Account und ein Anliegen sichtbar werden, zeigt sich gerade bei Autorinnen sofort die politische Dimension der gesteigerten Sichtbarkeit: Dass es für einige nicht selbstverständlich ist, dass bestimmte Personengruppen an die Öffentlichkeit treten und als Intellektuelle sprechen. Zugleich sind soziale Medien insofern ein Ort der Demokratisierung, dass sie dort überhaupt einen Ort finden, über ihre Anliegen zu sprechen. Diese Gemengelage erfordert es von den Autor*innen, sich ein Regime der Sichtbarkeit aufzuerlegen – von der Auswahl von Accountnamen und Profilfoto bis zur Selbstinszenierung in Tweets und Posts. In zwei kurzen Impulsvorträgen und einem gemeinsamen Gespräch über konkrete Fälle gehen Berit Glanz und Elias Kreuzmair den wesentlichen Linien dieses Regimes der Sichtbarkeit nach.
Sascha Oswald (Hildesheim)
18:00 Uhr, Rubenowstraße 3, Hörsaal
Mit den digitalen Medien, insbesondere der dort zunehmenden visuellen Kommunikation und den allgegenwärtigen Evaluationsfunktionen wie Likes und Upvotes, haben sich auch die Formen der Selbstthematisierung gewandelt. Die Effekte, die sich beobachten lassen, gehen dabei weit über die einseitige Kritik der Selbstbespiegelung hinaus, die innerhalb der Narzissmus-Debatte geschürt wird. 'Das Netz‘ formt Subjekte nicht einfach, vielmehr entstehen im Zusammenspiel der jeweiligen Plattformangebote mit den unterschiedlichen Nutzungsweisen der Einzelnen sehr vielseitige Selbstentwürfe und Selbstbilder.
Am Beispiel der Plattformen Instagram (einer sozialen Netzwerkseite), Tinder (einer Dating-App) und 9gag (einem Imageboard) wird im Vortrag nachvollzogen, wie männliche Selbstbilder im Rahmen visueller Kommunikation wechselseitig geformt und legitimiert werden. Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass Männlichkeit im Rahmen der Strukturen und Funktionen, welche die Plattformen anbieten, jeweils sehr unterschiedlich inszeniert und thematisiert wird. Dabei werden eben nicht nur klassische Männlichkeitsbilder perpetuiert - stattdessen erweisen sich die Plattformen als resonanzstarke Artikulationsräume für neue, marginalisierte oder spielerisch-ästhetische Männlichkeiten.